Donnerstag, 1. Juni 2006
Die WM, der Nationalstolz und die Fans
TischfussballNur noch wenige Tage bis zur Fußball WM 2006. Hierzulande muß man schon tot oder zumindest blind und gleichzeitig taub sein, um das kommende Ereignis zu ignorieren. Der völlige WM-Overload in allen Medien sorgt dafür, dass die WM bereits nervt, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat.

Ganz besonders in der Werbung schreibt sich wirklich jede Marke ungeniert die WM auf die Fahne, mag der Zusammenhang zum Produkt auch noch so abstrus (bzw. schlicht nicht existent) sein. Und das mit einer schier unzumutbaren Penetranz, die höchstens noch von irgendwelcher Jamba-Werbung übertroffen wird.

Meine aktuellen "Hasskandidaten":

1. die Obi-Werbung (der Gesang...!)
2. auch richtig fies: die Dame, deren Gesicht sich in den unterschiedlichsten Nationalfarben "einfärbt" - allein diese gespielte Begeisterung, würg...;
3. alle Spots in denen "der Kaiser" zu sehen ist

Auch in der Musik sind die Vorwehen der WM bereits deutlich spürbar: neben "Love Generation" (inklusive Video mit diesem häßlich Maskottchen "Goleo", das eigentlich noch nie irgendwer sehen wollte) gibt es jetzt auch einen Neuaufguß des Whitney Houston Klassikers "I wanna dance with somebody". Die Tantiemen seien der guten Whitney gegönnt, sie kann das Geld sicher gut gebrauchen.
Ich klinge genervt?

Ja, ich gebe es zu, oute mich hier offiziell:

Ich interessiere mich nicht für Fußball!

Und zwar überhaupt nicht. Nie. Nein, auch nicht zur WM!
Fußball langweilt mich. Grundsätzlich. Ich schaue mir keine Fußballspiele an, nie, nein, nein wirklich auch nicht während der Weltmeisterschaft.
Da bin ich konsequent. Und offenbar eine Ausnahmeerscheinung.

Wenn ich mich dieser Tage mit meinen Mitmenschen unterhalte, gibt es bedauerlicherweise kaum noch ein alternatives Gesprächsthema. In der Regel treffe ich auf zwei Gruppen. Da sind zum einen die richtigen Fußballfans, Leute (meist männlichen Geschlechts), die regelmäßig Fußball gucken, häufig einen lokalen Verein präferieren, vielleicht sogar selbst gelegentlich zu Spielen ins Stadion gehen. Das ist die kleinere Gruppe.

Daneben gibt es diese andere, wesentlich zahlreichere Gruppe. In die man getrost den Rest der Bevölkerung einordnen kann. Diese Gruppe existiert nur zu bestimmten Zeiten, nämlich zu Weltmeister- oder Europameisterschaften oder anderen internationalen Wettkämpfen: es ist die Gruppe der "temporären Fußballfans".

Sie besteht aus Leuten, die sich eigentlich einen Dreck um Fußball scheren, aber vorübergehend während der Fußball-WM zu Fans mutieren. Seltener zu Fans der Güteklasse A (= "ich guck mir jedes Spiel an"), häufiger der Güteklasse B (= "ich guck nur die Spiele, wo Deutschland mitspielt"). Im "normalen" Leben (sprich vor und nach der WM) würden sich dieselben Personen nie im Leben eine Sportschau angucken und kennen die Abseits-Regeln genauso gut wie ich - nämlich überhaupt nicht. Was mag also der Grund sein für diesen vorübergehenden(!) Sinneswandel?

Der Sport ist derselbe langweilige Sport wie immer: 22 Mann in langweiligen Outfits (inklusive Kniestrümpfen!) rennen (viel zu lange) über eine langweilige, immer gleich aussehende grüne Wiese einem langweiligen Ball hinterher. Statt Musik (was dem ganzen vielleicht mal ein bisschen Stimmung verleihen würde) gibts dazu nur eine nervtötende Geräuschkulisse. Vielleicht ist die WM einen Hauch interessanter als andere Fußballwettbewerbe, weil es mehr Abwechslung bei den Trikotfarben gibt. Aber das allein kann nicht der Grund sein.

Hakt man nach, erhält man als Antwort "aber das ist doch die Weltmeisterschaft! Und Deutschland spielt doch mit! Wir spielen mit!".
Und das scheint es tatsächlich zu sein: so eine Art "Nationalstolz". Wobei man sich fragt, worauf sich dieser Stolz eigentlich begründet. Ist es ein Verdienst als Deutscher (und nicht etwa als ein Angehörigerer irgendeiner anderen Nation, zum Beispiel als Holländer!?!) geboren zu sein? Ist das tatsächlich etwas anderes als reiner Zufall? Hand aufs Herz: Wer konnte sich seine Nationalität selbst aussuchen?

Die deutschen Nationalspieler mögen gute Sportler sein - das kann ich nicht beurteilen - vielleicht sogar besser sein als andere Teams. Jedoch kenne ich niemanden der Herren persönlich (andernfalls würde ich demjenigen vielleicht die Daumen drücken). Es sind einfach nur fremde Leute, zu denen mir völlig der Bezug fehlt.
Für viele Fans sind sie dagegen "Identifikationsfiguren". Das wirkt sich vor allem auf die inflationäre Verwendung des Wörtchens "wir" aus. Die Zuschauer sprechen ganz so, als würden sie persönlich mitspielen. Kurioserweise dauert das mit der "Identifikation" allerdings nur so lange an, wie sich das deutsche Team auf der Siegerstraße befindet - man achte mal darauf: im Falle eines Sieges heißt es "Wir haben gewonnen" im Falle einer Niederlage "die haben verloren".
Tja, und "Papst sind wir natürlich auch" ;-)

Aber wer weiß, vielleicht täusche ich mich völlig, was die Nationalstolz-Theorie betrifft; vielleicht ist die Fußball-WM einfach nur ein willkommener Vorwand zum kollektiven Feiern und Betrinken (ähnlich wie Karneval). Und das sei natürlich allen (Fans, Pseudo-Fans und Fußballhassern) aufs Herzlichste gegönnt! :-)

» Surprise! Offenbar bin ich doch nicht völlig allein auf weiter Flur mit meiner Meinung
» Und manchen gehts wiederum um was ganz anderes...sagt Herr Watzlawek


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